19. März bis 1. Mai 2011

Heli Ryhänen - unscharf / Out of the Blur


In der Arbeit von Heli Ryhänen, die die kunst galerie fürth mit ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland vorstellt, verbindet sich die alte kunstgeschichtliche Tradition der Puppe (also der Puppe als Kunstfigur) mit der Tradition der weichen Skulptur seit den 1960er Jahren. Aber es gelingt der finnischen Bildhauerin, aus beiden Quellen etwas Eigenes zu destillieren.

Der Titel, den Heli Ryhänen gewählt hat, ist mit dem Begriff „unscharf“ nicht übersetzt. Out of the Blur meint, dass etwas zum Vorschein kommt, sich abzeichnet. Der englische Titel umschreibt bestens dieses künstlerische Spiel an der Grenze, der Grenze zwischen Bewusstseinszuständen, Rollenbildern, Fremd- und Selbstwahrnehmung.

Die Puppe/Marionette ist Homunculus, Golem, Kobold, Cyborg, Surrogat oder Idol. Und sie steht in einer reichen kunsthistorischen Tradition. Von fetischartigen, volkskundlichen Objekten ging schon immer ein hoher Reiz aus. Und Künstler wie Oskar Kokoschka oder Hans Bellmer ließen sich Puppen machen, die ihnen über kürzere oder längere Zeit groteske Lebensbegleiter und Modell für ihre Malerei oder Fotografie wurden.

Heli Ryhänen bewunderte früh die "Referenzkünstlerin" der Gegenwart schlechthin, die vor einem knappen Jahr gestorbene Louise Bourgeois. Bourgeois hat tatsächlich auch Puppen gemacht, aber wichtiger ist, dass sie maßgeblich die weiche Skulptur etablierte.

Mit dem Motiv von Einladungskarte und Plakat wurde tendenziell eine Fährte gelegt, die durch den Ausstellungsbesuch irritiert wird: Der alte Mann, der schützend seine Hand ausstreckt, erscheint eher wie ein Nachhall auf Auguste Rodin. Dass „Preservation / Schutz“ nicht die einzige Bronzearbeit Ryhänens ist, beweist die zweite Figur der Ausstellung, die aus Bronze ist ("Farewell"), die Abschied nimmt, indem sie selbst den Vorhang zuzieht, ihn quasi selbstbestimmt fallen lässt am Ende eines Lebens, das anderen möglicherweise zur Belastung wird.

Die Mehrheit der Skulpturen jedoch sind weiche Skulpturen aus textilem Material. Es fallen einem dazu die frühen Positionen von Franz Erhard Walther, Joseph Beuys, Claes Oldenburg oder Robert Morris ein, oder diejenigen jüngeren Datums von Rosemarie Trockel und Sylvie Fleury.

Was macht die weiche, figürliche Skulptur aus? Das Formlose verunsichert einfach mehr als das Stabile, Festgefügte. Die Puppe als Gleichnis für den Menschen, das Textile als Pendant für Haut und Hülle werden von Künstlerinnen bevorzugt, um die Geschlechteridentität in Frage zu stellen. Und angesichts der in vielen Lebensbereichen forcierten Virtualität der digitalen Welt und des exzessiven Körperkults, die uns unseren Körper potentiell als umfassend veränderbar denken lassen, ist das Unheimliche (einer Puppenexistenz) nicht weit von unserer Realität entfernt. Ganz freundlich in der Farbe hockt der riesige Kopf des „Big Eater“ an der Wand. Aber er hat sich derart überfressen, dass ihm, was er sich wie Kronos einverleibt hat, bereits zur Nase herauskommt.

Nebenbei sei eine weitere Parallele erwähnt: Neben der Einzelfigur oder kleineren Figurengruppe zeigt Heli Ryhänen auch Figurenkonstellationen wie „Another Frequency“, die an tableaux vivants erinnern, lebende Bühnen-Bilder, wie sie im 19. Jahrhundert Mode waren und teilweise nach Gemälden nachgestellt wurden. Mit den räumlich inszenierten tableaux vivants-artigen Anordnungen lenkt sie ihren weiblichen Blick auf die unsichtbare Architektur der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Mit all diesen Figuren, Puppen, Konstellationen beschwört Heli Ryhänen also existentielle Situationen herauf. Wir spielen mit der Puppe und ihren surrealen Möglichkeiten, weil sie uns auf den schmalen Grat zwischen Bewusstsein und Traum lockt. Aber in keinem Fall handelt es sich um reine Imaginationen, Ryhänen betont, dass es sich zu einem guten Stück stets um Beobachtungen handelt, von denen sie ausgeht.

Die finnische Bildhauerin greift mit ihren figürlichen, weichen Skulpturen die Frage nach dem freien Willen und der Bedingtheit unsere Existenz auf, die Frage nach der Vertauschbarkeit der Rollenmuster und die nach unseren persönlichen Spielräumen.

Die erste Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland und der dazu vorgelegte Katalog (verlegt im Mailänder Verlag Silvana Editoriale spa.) werden ermöglicht durch:

FRAME (Finnish Fund for Art Exchange), HypoKulturstiftung (München), Firma Schredl Haustechnik (Fürth) und den Förderkreis der kunst galerie fürth.

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