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Reden zum Festakt 100 Jahre Henry Kissinger

100 Jahre Henry Kissinger, Festakt im Stadttheater am Dienstag, 20. Juni 2023

Alle Reden stehen auch als PDF in der rechten Spalte dieser Seite zum Download zur Verfügung.

Videobegrüßung, Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland

Lieber Henry, ganz herzlich grüße ich Sie und Ihre Gratulanten in Fürth. Ich freue mich sehr, dass Sie Ihren hundertsten Geburtstag in Ihrem Geburtsland und in Ihrer Heimatstadt feiern. Und dass die Stadt Fürth für Sie ein Geburtstagsfest ausrichtet und Sie dafür den weiten Weg über den Atlantik auf sich genommen haben, das alles bewegt mich. Es zeigt Ihre tiefe Verbundenheit zu Ihrer Heimat, die Sie mit der unverkennbar fränkischen Färbung Ihrer amerikanisch englischen Sprache auch nie geleugnet haben. Diese bleibende Liebe zur Heimat ist ganz und gar nicht selbstverständlich; hat Sie doch die verbrecherische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik Nazideutschlands einst dazu veranlasst, es zu verlassen. Umso mehr freuen sich heute nicht nur die Fürther und Franken über Ihren Besuch – unser ganzes Land freut sich! In den Vereinigten Staaten, die Ihnen Schutz und Lebensmöglichkeiten gewährten, haben Sie eine unvergleichliche Karriere gemacht, in der Wissenschaft wie in der Politik. Sie sind zu einem der einflussreichsten Gestalter der Weltpolitik geworden. Und nicht nur in den Jahren, in denen Sie direkte politische Verantwortung getragen haben – unverändert in den vielen Jahrzehnten nach Ihren Regierungsämtern waren Sie in der Außenpolitik Ihres Landes und der internationalen Politik unterwegs. Ihr kluger, pragmatischer Blick auf die Welt, Ihre historische Gelehrsamkeit und Ihre politische Weitsicht, Ihre Erfahrungen und Ihr 
Wissen haben viele Menschen immer wieder dazu gebracht, Ihren Rat zu suchen. Und dazu gehöre ich auch. Gerade in diesen schweren, gefährlichen Zeiten ist die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika für Deutschland von entscheidender Bedeutung. Diese Feier ist auch Ausdruck Ihres entschiedenen Einsatzes für unsere transatlantische Partnerschaft. Für dieses Engagement möchte ich Ihnen persönlich, auch im Namen meiner Landsleute, meine große Anerkennung und meinen Dank aussprechen. Diese sehr besondere Mischung aus Gelehrsamkeit und politischer 
Vernunft, die Sie in Person verkörpern, sucht ihresgleichen. Sie selber sind in Ihrem Leben wohl allen bedeutenden Staatsmännern und -frauen begegnet, Sie waren Zeuge großer historischer Ereignisse und haben nicht selten auch zu ihnen beigetragen. Für ein ganz besonderen Ereignis sind Sie, Ihrem hohen Alter geschuldet, wahrscheinlich einer der letzten lebenden Zeitzeugen. Nämlich des Tages, an dem Ihr geliebter Heimatverein, die Spielvereinigung Fürth, zum letzten Mal deutscher Fußballmeister wurde. Ob Sie das als Sechsjähriger schon bewusst erlebt haben, weiß ich nicht, aber als großer, großer Fan werden Sie es im Gedächtnis haben. Mit der Erinnerung daran und mit meinen besten Wünschen grüße ich Sie und alle Gäste in Fürth, die mit Ihnen feiern, und wünsche eine schöne, unvergessliche gemeinsame Zeit. 
Auf bald, lieber Henry!


Grußwort Dr. Thomas Jung, Oberbürgermeister der Stadt Fürth

Sehr verehrter lieber Herr Dr. Kissinger, 
ich darf Sie heute zum vierten Mal als Oberbürgermeister in Ihrer Geburtsstadt Fürth begrüßen und erstmals habe ich Mühe angemessene Worte zu finden. 
Schon bei unserer ersten Begegnung war ich sehr aufgeregt und voller Ehrfurcht so einer bedeutenden Persönlichkeit überhaupt begegnen zu dürfen. Ein langjähriger US-Außenminister und Friedensnobelpreisträger, eine historische Persönlichkeit, die zurecht von vielen Medien als Jahrhundertmensch bezeichnet wird. 
Heute sind Sie aus Anlass Ihres 100. Geburtstags in Fürth. Das ist uns eine außerordentliche Freude und besondere Ehre. Heute morgen durfte ich Sie an für Sie besonders bedeutsame Orte, wie das Grab Ihres Großvaters auf dem Jüdischen Friedhof, begleiten und einmal mehr als unglaublich freundlichen und bescheidenen Menschen erleben, den auch Kleinigkeiten in der Entwicklung seiner Geburtsstadt interessieren. 
2006, in Ihrem Büro in New York habe ich die – im Übrigen auch von vielen Medien zitierten - beeindruckenden Bilder Ihrer Begegnungen mit allen großen Staatsmännern des 20. Jahrhunderts, gesehen und gleichzeitig plauderten wir in diesem Büro über die aktuelle Tabellensituation unserer Spielvereinigung. 
Sie, lieber Herr Dr. Kissinger, verkörpern eine Persönlichkeit von weltweiter Bedeutung und Ausstrahlung mit tiefster fränkischer Verwurzelung in Fürth und Ihrem Fußballverein. Sie haben es vermocht, trotz des nicht verzeihlichen Unrecht, dass Ihnen und Ihrer Familie zugefügt wurde, den Menschen hier in Fürth und den Menschen in Deutschland offen und herzlich die Hand zu erreichen. Das erfüllt uns gleichzeitig mit tiefer Scham und großer Freude. 
Ihr messerscharfer Intellekt und Ihre fundierten Analysen des aktuellen Weltgeschehens werden noch immer weltweit mit großem Interesse gehört. Die wenigsten wissen aber, dass dieser kluge und strategisch denkende Dr. Henry Kissinger zugleich viel Bescheidenheit, Bodenständigkeit, Humor und Herzlichkeit ausstrahlt. Fürth hat viele bedeutende Persönlichkeiten hervorgebracht, oft auch aus jüdischen Familien, um nur die Namen der Verlegerpersönlichkeit Leopold Ullstein des Schriftstellers Jakob Wassermann oder von Julius Ochs, dessen Sohn Adolph die renommierte New York Times mitbegründete, zu nennen. Oder natürlich auch Ludwig Erhard als Vater des deutschen Wirtschaftswunders und Bundeskanzler zu erwähnen.
Aber Sie, sehr verehrter Dr. Kissinger, sind der Einzige, der auch international Bedeutung und Beachtung erreicht hat. Vom Flüchtlingskind zum Weltstar der Politik. Und dies über ein ganzes Jahrhundert und ich bin sicher, viele viele gute Jahre werden da noch folgen. Ihnen, lieber Dr. Kissinger, ist diese Gnade vergönnt. Wir freuen sehr mit Ihnen und dass Sie die Mühen und Strapazen des Besuchs auf sich genommen haben, erfüllt uns mit großer Dankbarkeit. 
Die Fürtherinnen und Fürther danken Ihnen diese Verbundenheit zu Ihrer Geburtsstadt nach wie vor mit viel Zuneigung und Herzlichkeit. Bei der Enthüllung einer Tafel an Ihrem Geburtshaus in der Mathildenstraße gab es spontan Applaus von Passanten und Anwohnern. Und beim letzten Heimspiel der Spielvereinigung in dieser Saison einen Tag nach Ihrem Geburtstag klatschen über 14000 Fußballfans Beifall als die Geburtstagsglückwünsche an den weltweit bekanntesten Fan auf der Anzeigetafel erschienen.
Lieber, verehrter Herr Dr. Kissinger, wie schön, dass Sie heute hier sind - bleiben Sie weiterhin gesund und behütet.  


Grußwort von Dr. Wolfgang Schäuble, MdB, Bundesminister a. D.

Es ist eine große Freude, dass wir mit Ihnen Ihren 100. Geburtstag feiern können und Ihnen danken können für all das, was Sie auch für unsere Sicherheit und Freiheit geleistet haben und was wir von Ihnen lernen können. Ich habe schon in jungen Jahren aus Ihrem großen Werk „Metternich, Castlereagh and the Problems of Peace 1812-1822“ angefangen zu verstehen, was Realpolitik in internationalen Beziehungen bedeutet. Und in „Nuclear Weapons & Foreign Policy“ entwickelten Sie für das Atomzeitalter die Strategie, dass die Verhinderung von Krieg glaubwürdige Abschreckung braucht, was flexible Reaktionsmöglichkeiten erfordert. In den 50er Jahren geschrieben, und leider gerade heute so aktuell.
Ihr unermüdlicher Drang, Menschen, Geschichte, kulturelle und gesellschaftliche Strukturen, neue Technologien zu verstehen und daraus strategische Schlussfolgerungen zu erarbeiten – das kann einen auch demütig machen. Ich jedenfalls bleibe dankbar für die zahllosen Gespräche, die ich mit Ihnen über Jahrzehnte in Bonn, New York und Berlin führen konnte. Natürlich war und ist vieles umstritten, was Sie als Realpolitiker im amerikanischen Interesse entschieden. Aber den Vorwurf mangelnder Moral halte ich für unbegründet. Wer als Politiker handelt, wird schuldig, sagte Helmut Schmidt, auf den Sie eine so berührende Trauerrede hielten. Das ist in dieser Welt so, und deshalb hat Lessings Nathan eben Recht, wenn er zu seiner Tochter sagt „Begreifst Du aber, wie viel leichter andächtig schwärmen als gut handeln ist“.
Schwärmen war Henry Kissingers Sache nicht, aber gut handeln, das hat er mit seinen großen Gaben immer versucht, und er hat viel Gutes bewirkt. Über die Ergebnisse kann, ja darüber muss in der Demokratie immer gestritten werden. Aber nicht mit moralisierender Besserwisserei. In dieser unserer Welt ist realpolitisches, verantwortliches Handeln, wie es Henry Kissinger meisterhaft gelebt hat, geradezu moralisch gefordert. Deswegen herzlichen Dank und herzliche Glückwünsche.


Grußwort von Prof. Dr. h.c. Wolfgang Ischinger, Präsident des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz

Unser heutiger Jubilar, Dr. Henry Kissinger, ist, soweit mir bekannt, der einzige noch lebende Teilnehmer der allerersten Münchner Sicherheitskonferenz, die 1963, damals noch unter dem Namen „Wehrkunde“, in München stattfand.
Die anderen damaligen Teilnehmer, wie zum Beispiel der frühere Bundekanzler Helmut Schmidt, sind leider schon seit längerem nicht mehr unter uns.
 Dr. Kissinger war dann auch 2009 der erste Preisträger des von der Münchner Sicherheitskonferenz verliehenen Kleist-Preises, benannt nach dem Gründer der Wehrkunde und späteren MSC, Ewald von Kleist, mit dem Henry Kissinger sich über viele Jahrzehnte hinweg eng ausgetauscht hat.
Ich gehe davon aus, dass es diese Zusammenhänge mit der Münchner Sicherheitskonferenz sind, die die Veranstalter bewogen haben, mich als langjährigen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz einzuladen, hier auch ein kurzes Grußwort zu sprechen.
Mein erster eigener – damals noch indirekter – Kontakt mit dem früheren Außenminister Kissinger fand übrigens Ende der 1970er Jahre in Washington DC auf einer völlig anderen Ebene statt: als damals jüngster Mitarbeiter des deutschen Botschafters war es mein Job, dafür zu sorgen, dass jeden Montagmorgen die Fußballergebnisse aus Fürth pünktlich auf dem Schreibtisch von Dr. Kissinger landeten. Vergessen Sie nicht: moderne Kommunikationsmittel via Internet gab es vor 45 Jahren noch nicht und daher habe ich jeden Montagmorgen ein Fernschreiben aus Deutschland mit den Fußballergebnissen in einen Briefumschlag gesteckt und den Botschaftsfahrer dann losgeschickt. Wehe, ich hätte das einmal vergessen: dann kam unweigerlich in kürzester Frist ein mahnender Anruf aus dem Büro Kissinger.
 Von Helmut Schmidt abgesehen, mit dem ihn eine lange Freundschaft verband, pflegte Dr. Kissinger natürlich auch einen regelmäßigen Gedankenaustausch mit Helmut Kohl. Anlässlich des 80. Geburtstags von Kohl im Jahre 2010 erinnerte Kissinger an die Bemerkung von Bismarck, dass der Staatsmann versuchen sollte, den Rockzipfel der Geschichte zu packen, und auf diese Weise historische Gestaltungsgelegenheiten zu ergreifen. Kissinger fügte hinzu, dass dieser Satz sich auf Kohls Leistung beziehen lässt, als er den Rockzipfel des Schicksals ergriff und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 zustande brachte – übrigens mit zentraler und vertrauensvoller Unterstützung durch den damaligen Präsidenten George H. W. Bush.
Die Verleihungszeremonie im Münchner Residenzschloss, als Henry Kissinger im Jahr 2009 den Ewald-von-Kleist-Preis erhielt, wird nicht nur mir unvergessen bleiben. Henry rührte hunderte von Gästen bei dem festlichen Abendessen zu Tränen, als er über seine Kindheit in Fürth sprach und davon, dass sein Vater ihm wohl zugetraut hätte, es vielleicht eines Tages bis zum Lehrer an einem Gymnasium in der nahen Großstadt Nürnberg zu schaffen. Niemals, so sagte Kissinger damals, hätte sich mein Vater vorstellen können, dass ich, ein früherer Flüchtling aus Deutschland, in der Münchner Residenz in Gegenwart des Bayerischen Ministerpräsidenten und vieler internationaler Führungspersönlichkeiten so in so bewegender Weise geehrt werden würde.
Meine Damen und Herren, in diesem Jahr, in dem  Henry Kissinger 100 Jahre alt geworden ist, wurde die Münchner Sicherheitskonferenz immerhin 60. 
Im Namen des gesamten Teams der MSC möchte ich Dr. Kissinger auf diesem Weg für die großartige Unterstützung unserer Konferenz über so viele Jahre hinweg danken. Dank Schulden wir ihm für seine stets klugen und tiefsinnigen Ratschläge - nicht nur für uns, sondern für die Bundesregierung und für die  Gestaltung der transatlantischen Beziehungen und die Bekämpfung nuklearer Gefahren ebenso wie für seine großartige menschliche Güte. Ich kann dir, verehrter Henry, gar nicht genug danken und bin zutiefst geehrt, heute bei dieser Veranstaltung dabei sein und mitfeiern zu dürfen.


Grußwort von Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE

Verehrte Gäste, lieber Henry! 
Bei der Feier zum 80. Geburtstag von Winston Churchill wird der britische Staatsmann immer wieder von einem ehrgeizigen jungen Fotografen abgelichtet.  Am Schluss ruft der Dreißigjährige dem Jubilar ehrfürchtig zu: „Ich hoffe, dass es uns das Schicksal vergönnt, dass ich Sie auch zu ihrem 100. Geburtstag noch fotografieren kann“. Darauf Churchill: „Warum nicht, junger Mann? Sie sehen doch noch ziemlich fit aus!“
Was bei Churchill ein Joke war, ist bei Kissinger Realität. Wir wissen nicht, wie es den Fotografen geht, die ihn zu seinem 80. fotografiert haben. Aber wir wissen, wie es Kissinger heute, auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten seines 100. Geburtstags geht. Seine Analysen der Weltlage, seine begehrten Ratschläge an Politiker in den USA oder Europa und seine Bücher über Leadership oder künstliche Intelligenz sind präzise wie das Skalpell moderner Mikro-Chirurgie. (Insofern könnte Kissinger sich an Konrad Adenauer halten. Als man dem einst zum Geburtstag wünschte, er möge Hundertzwanzig werden, replizierte der ewige Kanzler der Überlieferung nach: „Ich verstehe nicht ganz, warum sie ihre Erwartungen zeitlich so unnatürlich begrenzen wollen.“)
Henry Kissinger lebt ein Leben, das herkömmliche Dimensionen sprengt. Fast ein dreiviertel Jahrhundert lang beeinflusst er nun die Außenpolitik und das, was wir die Weltordnung nennen. Er tut dies ganz unabhängig von seinen ehemaligen politischen Ämtern, so als sei er für ein Amt  auf Lebenszeit gewählt worden – er ist der Papst im Vatikan der Globalstrategie. Er verkörpert den Triumph des Geistes über die Materie. 
Seit vielen Jahrzehnten gestaltet Henry Kissinger auf diese Weise aktiv und höchst vergnügt seine eigene Monumentwerdung. Es ist nicht übertrieben zu sagen: Die Welt sieht anders aus, weil es Henry Kissinger gibt. Und obendrein versprüht der Mann noch Lebensfreude. Bei allem politischen Ernst stets auch im Dienst des gehobenen Entertainments. Kissinger ist nie um eine gute Pointe verlegen. Und wenn es am Ende eines New Yorker Dinners dann zum gepflegten „High Gossip“ übergeht, sagt Kissinger mit einem unvergleichlich schalkhaften, fast bubenhaften Lächeln Sätze wie: „Niemand wird jemals den Krieg der Geschlechter gewinnen. Es gibt auf diesem Gebiet einfach zu viel Fraternisierung mit dem Feind.“
Mitunter ist Henry Kissinger auch unfreiwillig unterhaltsam. Unvergessen ist eine Szene, als wir uns vor vielen Jahren in seiner New Yorker Wohnung zum Mittagessen treffen. Während wir mit Stäbchen chinesisch essen, sitzt Henrys schwarzer Labrador links neben ihm und beobachtet ihn mit Augen, die den größten Eisberg zum Schmelzen bringen könnten. Aber Henrys Herz ist längst geschmolzen. Das Mittagessen folgt einer strengen Ordnung. Ein Bissen für den Hausherren. Ein Bissen für den Hund. Elegant mit der Linken nach unten gereicht und dort geräuschvoll verschlungen.  Währenddessen fließt das Gespräch über Deutschlands Unterstützung für israelische U-Boote, mit unaufgeregter Lässigkeit und unerschütterlicher Stoik beim Verteilen der Fleischbällchen. 
Wir erkennen: Das Monument ist Mensch geblieben. Sinn und Sinnlichkeit und dabei „a Mensch“ bleiben – mehr kann man aus dem Geschenk, das Leben heißt, nicht machen. Ich glaube, es ist das, was ich an Henry Kissinger am zweitmeisten bewundere. Am meisten aber bewundere ich seine besondere, weil eigentlich unmögliche Liebe zu Deutschland. 
Heinz Alfred Kissinger wurde am 27. Mai 1923 in Fürth in eine recht strenggläubige jüdische Familie geboren. Der Satiriker Moritz Gottlieb Saphir hat Fürth im 19. Jahrhundert das „bayerische Jerusalem“ genannt. Die jüdische Gemeinde der Stadt wurde 1528 gegründet. 1933 lebten in Fürth 1990 Juden. 1945 waren es noch 20. Heinz Kissinger emigrierte mit seinen Eltern im August 1938 im letzten Moment nach Amerika. Er hat sich ein Leben lang geweigert, seine Kindheit als Trauma und Erklärung seines späteren politischen Lebens zu psychologisieren.  Fast trotzig sagte er: „Die politische Verfolgung während meiner Kindheit beherrscht nicht mein Leben.“
Der Holocaust aber ist der Schlüssel zu seiner politischen Biografie. Kein Text von Henry Kissinger ist so emotional, so erschüttert und erschütternd wie der kurze Bericht, den er direkt nach der Befreiung des Konzentrationslagers Ahlem bei Hannover verfasst hat. Unter dem Titel „Der ewige Jude“ – eine ironische Anspielung an den gleichnamigen Propaganda-Film der Nazis – beschreibt der amerikanische Soldat seine Begegnung mit dem KZ-Überlebenden Folek Sama. „Und die Augen des Mannes trüben sich, er nimmt die Mütze ab, in Erwartung eines Schlages. ‚Folek… Folek Sama‘. – ‚Nehmen Sie ihre Mütze nicht ab‘“, sagt Kissinger. „‚Sie sind jetzt frei.‘“ 
Es ist der Satz seines Lebens.
Kissinger beschreibt die Hölle auf Erden im Lager und wendet sich dann erneut an Sama: „Und ich stehe hier, mit meiner sauberen Kleidung, und halte eine Rede vor Dir und Deinen Kameraden. Folek Sama, du bist eine lebende Anklage an die Menschheit. Ich, Herr Jedermann, die menschliche Würde, alle haben Dich im Stich gelassen. (…) Und doch, Folek, bist du immer noch ein Mensch. Du stehst vor mir, und Tränen laufen Dir über die Wangen. (…) Solange es in dieser Welt noch das Konzept des Gewissens gibt, wirst Du es personifizieren. Nichts von dem, was für Dich getan wird, wird dich jemals wiederherstellen. In diesem Sinne bist Du ewig.“ 
Vielleicht ist das der Antrieb, der Henry Kissingers politischen Ehrgeiz und seine unvergleichliche Wirkungsmacht erklärt. Es ist der Urgrund für sein realpolitisches „Nie wieder“. 
Ich glaube, drei Dinge haben seither Kissingers politischen Kompass konkret geprägt: Dankbarkeit gegenüber Amerika als einem Hort der Freiheit. Loyalität zu Israel als Hoffnung auf Sicherheit für das jüdische Volk. Und ein Interesse, ja eine besondere Liebe zu Deutschland. Letzteres ist ein Wunder. 
Elf Mitglieder der Familie Kissinger wurden während des Holocausts von den Nazis ermordet. Das Trauma der Shoah hat Kissinger nicht zu resignativer Verbitterung oder blankem Hass auf Deutschland geführt, sondern zu einem aktiven Leben des antitotalitären Engagements und der Versöhnung. Die Grundlage seines tief wurzelnden Transatlantizismus ist der kritische Patriotismus für ein besseres Deutschland, eine Versöhnungssehnsucht, die bis heute von einem entscheidenden Ziel motiviert ist: Dass Adolf Hitler hier, in Henry Kissinger’s Heimatland, nicht das letzte Wort hat. Kissinger hat zeit seines Lebens immer an ein anderes, ein besseres Deutschland geglaubt. 
Lieber Henry, dass Du – auch deshalb – Deinen 100. Geburtstags, in Deutschland, in Deiner Geburtsstadt Fürth feierst, zeigt, wer im Jahr 2023 das letzte Wort hat. Darüber gefreut hätte sich vor allem Dein Vater. 
Dein Heutehiersein ist eine zutiefst bewegende Geste und ein Geschenk an jeden Deutschen. 
Danke und Happy Birthday, Henry!


Rede von Prof. Dr. Henry A. Kissinger, Ehem. amerikanischer Außenminister und Friedensnobelpreisträger

Vor beinahe neunzig Jahren besuchte ich erstmals das Fürther Stadttheater. Ich war damals zehn Jahre alt und mein Vater war der Meinung, dass der Besuch der Oper "Fidelio" wichtiger sei, als auf dem Ronhof ein Spiel der Spielvereinigung Fürth zu sehen. Fünf Jahre später wanderte meine Familie nach Amerika aus, wo ich meinen Schulabschluss machte und später studierte. Die USA boten mit die Chance, auf vielen Ebenen am Aufbau einer freien und demokratischen Weltordnung mitzuwirken – diese fünfundachtzig Jahre haben mich sehr geprägt.Gleichzeitig war die Entwicklung einer Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten und einem wiedererstandenen demokratischen Deutschland ein wesentlicher Teil dieses Lebens.Die Erinnerungen an meine Jugend haben mir durch schwierige Zeiten geholfen und mich in den konstruktiven Phasen meines Lebens inspiriert. Die Spaziergänge durch die Wälder, die die Stadt umgeben, die Zeit in der Jüdischen Realschule und die Freundschaften, die trotz der äußeren Umstände Bestand hatten, haben mir geholfen, die Widrigkeiten des Lebens zu bewältigen. Der Heimat den Rücken zu kehren, war schmerzvoll, doch die Rückkehr nach dem Krieg in eine Gesellschaft, die sich dem Frieden, der Demokratie und dem Wohlstand verschrieben hatte, war erhebend.Die Familie Kissinger erinnert sich gerne daran, wie glücklich und zufrieden etliche Generationen unserer Vorfahren hier lebten. Wir sind sehr stolz darauf, dass meine Wahlheimat und mein Geburtsland heute in der transatlantischen Allianz einander als unverzichtbare Partner verbunden sind. Zwischen meinem Bruder Walter, der mich siebenundneunzig Jahre durch mein Leben begleitete, und der Familie Kurz aus Fürth, die so viel zur der Ausrichtung dieser Veranstaltung beigetragen hat, entwickelte sich eine enge Freundschaft. Drei seiner Kinder, Bill, Dana und Tom, sowie mein Sohn David und seine Frau Alex haben mich auf dieser Reise begleitet, um zu zeigen, wie wichtig ihnen die Geschichte ihrer Eltern ist. Fürth ist durch alle Zeiten ein Teil unseres Lebens geblieben. 1975, vor knapp 50 Jahren, begleiteten meine Eltern mich nach Fürth, als ich mit der Goldenen Bürgermedaille der Stadt Fürth geehrt wurde. Mein Vater ergriff gänzlich unerwartet das Wort und drückte aus, was die Familie Kissinger in diesem Moment fühlte: "Durch die Verleihung der Goldenen Bürgermedaille hat die Stadt Fürth zu erkennen gegeben, dass sie stolz ist auf unseren Sohn, der auch ihr Sohn, ein Sohn der Stadt Fürth ist. Es macht uns glücklich, dass unser Sohn zum internationalen Ansehen der Stadt beigetragen hat, die schon als Handels- und Industriestadt Weltgeltung hat. Es war bewegend für mich, in einem Brief einer Frau, die aus Fürth stammt und jetzt in einem Altersheim lebt, zu lesen: Fürth ist so bekannt geworden, dass ich so froh bin nicht mehr "Fürth bei Nürnberg" zu schreiben, sondern nur "Fürth". Möge die Stadt einer glücklichen Zukunft entgegengehen." Diesem Wunsch meines Vaters schließen sich alle Kissingers an, die sich heute hier versammelt haben. Wir danken dem Chor des Gymnasiums, an dem mein Vater in den glücklichen Tagen seines Berufslebens unterrichtet hat. Als letzte Veranstaltung zu meinem einhundertsten Geburtstag rundet sie den Kreis meines eigenen Lebens harmonisch ab.

 

Hinweis: Festrede des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder lag nicht vor. 

 

 

 

 

 

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