Nürnberger Nachrichten, 20/21.9.2014, Nürnberg

Panoptikum der eigenwilligen Kopf-Geburten

"faces from gugging": Bilder aus der ehemaligen Nervenheilanstalt bei Wien sind in Fürth zu sehen


"faces from gugging" heißt eine Ausstellung mit Werken von Künstlern der ehemaligen Nervenheilanstalt bei Wien, die in der kunst galerie fürth zu sehen ist.


Der Schriftsteller Gerhard Roth nannte das "Haus der Künstler" im österreichischen Gugging einmal einen "Irrgarten der Bilder". Und tatsächlich konnte man sich dort, in der ehemaligen "Landesnervenheilanstalt" vor den Toren Wiens, verlieren in Parallelwelten, geschaffen von Männern und Frauen, die wegen psychischer Krankheiten von der Gesellschaft ausgesondert wurden. In dem Heim regte man sie ab den 50er Jahren dazu an, ihre Phantasien auszudrücken und ihre Sprachlosigkeit zu überwinden in Bildern und Zeichnungen. Über Jahrzehnte hinweg schufen Patienten, betreut und gefördert von dem legendären Psychiater Leo Navratil, Kunstwerke zwischen Wahn und Sinn (von Jean Dubuffet bald als "Art Brut" in den Kommerz-Kunstmarkt eingeführt). Erinnerung und Wahrnehmung vermischten sich darin, ohne zugleich auf einen Sinn zuzusteuern.

Einen Ausschnitt aus diesem rätselhaften Universum der Zeichen und Figuren, eine Art Flaschenpost mit Nachrichten aus den verschlossenen Innenräumen des Geistes, hat Fürths Galerieleiter Hans-Peter Miksch jetzt in sein Haus holen können. Die schöne Schau beschränkt sich auf "Gesichter", wie sie von den Gugginger Künstlern zu Papier gebracht wurden. Die meisten Arbeiten stammen aus der Navratil-Zeit, also aus den Jahren, in denen das Haus noch als Anstalt fungierte. Heute ist es längst ein "Art-Brut-Center" mit Galerie; die meisten der in Fürth vertretenen Maler sind vor Jahren schon verstorben.

Was sie der (Nach-)Welt, die ihnen immer fremd und oft genug bedrohlich gewesen ist, hinterlassen haben, ist zusammengenommen ein Panoptikum der eigenwilligsten Kopf-Geburten. Das reicht von kindlich gekrakelten Porträts aus tiefsten Erinnerungskellern über spaßverrückte Karikaturen bis hin zu Abstraktionen, hinter denen sich die Person mit all ihren Ängsten selbstschützend versteckt. Da sieht man verwirrend herausfordernde Doppelgesichter und stummverschlossene Mienen, Köpfe, in denen die Persönlichkeiten zu rebellieren scheinen, und solche, gemalt in hohem Alter, die fast beschwörend nur von der sanften Schönheit vergangener Jugend sprechen; quietschbunte Antlitze eines August Walla, dem das irdische Dasein ein einziger Endlos-Roman aus Farben und Wörtern war, fallen plakativ ins Auge und dann wieder feinste Zeichnungen unterschiedlichster Charaktere, wie Oswald Tschirtner, der Schöpfer der "Kopffüßler" sie zu Papier brachte.

Gesichter-Geschichten sieht man hier, und fasziniert beginnt man zu lesen. Denn all diese Bilder sprechen, doch wer meint, sie zu verstehen, wird sich immer wieder getäuscht und genarrt sehen. Ihre Sprache kommt tief aus beschädigten Seelen, aus lebenslang schwermütigen Augenblicken und aus endlosen Einsamkeiten, aus einer Welt, die in ihrer vordergründig kreativen Leichtigkeit letztlich doch nur oberflächlich zugänglich ist. Der Wahn und der Sinn, wie gesagt, bleibt uns verschlossen. Und die Frage, wo "das Normale" beginnt und wo es endet, wer es definiert und ob das dann auch so stimmt - die bleibt einmal mehr offen.

Bernd Noack

 




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