Nordbayerische Zeitung, 18./19.11.2017

Bücher können in den Himmel kommen


Installationen rund ums geschriebene Wort präsentiert der in Heroldsberg beheimatete Buchobjektkünstler Dietmar Pfister in der kunst galerie fürth: "Visuelle Poesie"

"Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen. Ewig still steht die Vergangenheit."

So dichtet Schiller. Sein Poem, dem der Titel der Schau entnommen ist, widmet sich allerdings nicht nur der Zeit, sondern auch dem Raum. Höhe, Breite und Tiefe weisen in die äußeren Dimensionen, zudem noch in die inneren Sphären, die dem Mensch auszuloten obliegt.

Wer die Ausstellung "Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen" betritt, erleidet erst mal den üblichen Kulturschock: "Ist das Kunst oder gehört das weg?" In der Tat eignet der Installation "Club der toten Dichter" der Eindruck nicht allein des Vergänglichen, sondern des Abfälligen: verstreute Knochen, einzementierte Bücher, Sand - alles in hellbeiger Farbe aufeinander abgestimmt. Gefeiert gestern auf den Buchmessen, heut dem Wühltisch zugemessen, morgen schon total vergessen. Ein schwarzhumoriges Denkmal für Literaten.

Doch der schreibende Mensch sehnt sich nach Fortdauer. Trost findet er in heiligen Schriften. Dietmar Pfister, Jahrgang 1943, installiert hierzu ein Tarnzelt aus Bundeswehrbestand, dessen Maschen er mit Seiten aus der Bibel, dem Koran, aber auch von Konfuzius, der Mao-Bibel und dem Kommunistischen Manifest behängt, bunt garniert mit tibetischen Gebetsfahnen. Das macht Sinn: Schließlich ging der Monotheismus von einem Nomandenvolk aus, und der Apostel Paulus war ursprünglich ein Zeltmacher. Überdies garantiert solch ein Zelt den flexiblen Austausch zwischen innen und außen.

Mit dem "Zelt III" korrespondieren die "Birkacher Buchtücher" in unmittelbarer Nähe. Hierbei handelt es sich um zerschlissene ockerfarbene Planen unterschiedlicher Größe, auf denen eine verblasste Fantasieschrift prangt. Eine Mauerinschrift? Oder eine Anordnung von Textfragmenten? Gegenüber hängt eine "Votivtafel". Ein Palimpsest aus Farbe und Sand, unter dessen Schichten ebenfalls Spuren einer Schrift hindurchschimmern. Palimpseste sind mehrfach verwendete Pergamente, deren Vorgängerschrift übermalt und neu beschrieben worden ist. Wobei stellenweise die alte Schrift zum Vorschein kommt. Was als gelöscht galt, reicht doch noch weiterin die Zeit.

Suche nach Unsterblichkeit

Mit den Menschen ist es wie mit den Schriften: eine Generation folgt der nächsten, löscht die Vorgänger aus, und bringt doch einiges von ihnen wieder zum Vorschein. Manchmal in abwegiger Interpretation: Schillers Gebeine ruhten in einer Familiengruft, deren Schacht sich im Lauf der Zeit mit weiteren sterblichen Überresten auffüllte. Als man seine Relikte aus dem Moder bergen wollte, hatte der Totengräber die Qual der Wahl. Also deklarierte er den prägnantesten Schädel zum Dichterhaupt.

Gibt es keinen Raum zum Weiterleben? Doch, in der Transzendenz! Der Künstler kreiert im oberen Stockwerk der Galerie den Bücherhimmel: Die Installation "Die blauen Bücher (Die Wand)" versammelt in drei Reihen 111 eingerahmte Einbandrückseiten, deren Farbe von Türkis über Kobalt bis zu Indigo schillert, mal monochrom, mal gemustert oder marmoriert.

Der Effekt ähnelt den Urnennischen im Kolumbarium, lädt aber auch zum Meditieren ein. Da fällt der Groschen: die Ausstellung "Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen" bildet in ihrer Anordnung ein Gesamtkunstwerk, eine Betrachtung über die Suche nach Unsterblichkeit. Und einen Anstoß zur freien Assoziation.

(c) Reinhard Kalb

Zurueck Zurück Versenden versendenDrucken drucken
2021 © kunst galerie fürth - Impressum