Nordbayerische Nachrichten, 19.9.2018

Unbehagliche Knautschzonen


Fürther Kunstgalerie wirft Schlaglichter auf öffentliche und private Räume


"Zona deformabile" heißt im Italienischen die Knautschzone von Autos. In der so betitelten Ausstellung in der kunst galerie fürth trifft man gleichsam auf urbane Knautschzonen, auf private und öffentliche Räume, die als Schutzzonen kaum mehr taugen.

Knautschzone - das klingt ja auch gemütlich. Doch in den Interieurs und Stadtentwürfen der von Gastkuratorin Natalie de Ligt eingeladenen sechs Künstler ist nichts gemütlich. Da sind Unfälle längst passiert.

Besonders eklatant in der "idealen Stadt des Scheiterns", aus Holz und Pappe erbaut von den "Weltanschauungsbeauftragten" Martin Fürbringer und Philipp Moll. Ihr Markenzeichen: Gesellschaftskritik, gepaart mit sarkastischem Humor. Nach dem Tod Molls 2016 hat Fürbringer die gemeinsam entworfene Stadt rekonstruiert - ein so anspielungsreiches wie fragiles Architekturgebilde aus windschiefen Migrantenhöfen, Armutspromenade, Bertolt-Brecht-Bank und Baader-Meinhof-Wohnmaschine; die "Straße des ungebremsten Aufschwungs" gleicht einer wackligen Achterbahn, und die "Mariahilf-Arena" thront unerreichbar auf ihrem Sockel. An der Wand erlebt dieses postindustrielle Babylon seine grellbunte Transformation in ein triumphal vom Untergang kündendes Revolutionsgemälde.

Geborgenheit verheißen auch die heimischen vier Wände nicht: Kühl und stylisch oder von außen bedroht etwa präsentieren sich die Innenräume bei Corinna Schnitt. In ihrem Video "Tee trinken" streift die Kamera durch eine cleane Wohnlandschaft und rückt vereinzelt eine ältere Frau in den Blick. Erstarrt und einsam sitzt sie da, ihr einziges Gegenüber ist das Modell eines Werbeclips, das im blühenden Lavendelfeld ewige Jugend verheißt. In "Once upon a time" beobachtet die auf dem Wohnzimmerteppich rotierende Kamera eindringende Tiere: Katzen, Ziegen, jede Menge Federvieh, sogar eine Kuh. Erst schmunzelt man, doch die zunehmende Verwüstung vermittelt ein Gefühl von Ausgeliefertsein und Okkupation.

Aus den Interieurs von Susann Gassen ist das Leben komplett  verschwunden, sind auch die Spuren der Bewohner getilgt. Zu deren Charakterisierung hat Gassen auf die Kunst- und Architekturgeschichte verweisende Platzhalter in die Bilder geschmuggelt. Fast surreal wirken diese malerisch exquisiten Arbeiten, welche die Unbehaglichkeit bürgerlicher Wohnwelten entlarven.

In einen hermetischen Kosmos führen auch die Zeichnungen von Nina Weber. Ihre Protagonisten stecken in engen Räumen fest und sind von anrührendem Ausdruck. Tristesse kommt trotzdem nicht auf - dafür sorgen die bunten Farben, bewegten Strukturen und ein feiner Witz. Wie Weber ist auch Maaz Ali geistig gehandicapt. Hier lernt man ihn als obsessiven Zeichner kennen, der sich die Welt mit der U-Bahn erfährt. Auf langen Papierbahnen wird der Blick in die Waggons aufgeklappt, rücken die Architekturen zu grafischen Mustern zusammen und sind die Türme entlang der U1-Stationen zur fast märchenhaften Skyline komprimiert.

Alis Arbeiten wohnt auch ein utopisches Moment inne - der Stadtraum als Ort, in dem das Zusammenspiel von Chaos und Ordnung zuverlässig funktioniert. Und in dem sich die Kunst ihren Platz oft erst erstreiten musste: Jörg Obergfell hat die Nürnberger Skulpturenlandschaft aufs Format kleiner, grauer Tonfiguren geschrumpft. Narrenschiff und Dürerdenkmal vereinen sich da mit den Aufregern des "Symposium Urbanum" zum friedlich demokratischen Gruppenbild.

"Zona deformabile" passt perfekt in das Jahresprogramm, das Galerie-Leiter Hans-Peter Miksch zum 200. Jubiläum Fürths den Themen Stadt und Architektur widmet. Eine kritische Bestandsaufnahme unserer Innen- und Außenwelt in sechs Schlaglichtern. Unbedingt empfehlenswert!

Regina Urban




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