Nürnberger (& Fürther) Nachrichten, Freitag, 12.10.2007

Wie aus Worten Bilder werden

Kunstvolle Spracherforschung: Doppelausstellung von Ruth Liberman in Fürth


Die Fürther Kunst-Galerie präsentiert Arbeiten der gebürtigen Frankfurterin Ruth Liberman und kooperiert für die Ausstellung erstmals mit dem Jüdischen Museum Franken.

Dessen Leiterin Daniela Eisenstein lernte Ruth Liberman in New York kennen - wo die Künstlerin seit 20 Jahren lebt - und lud sie nach Fürth ein. Da die Ausstellungsfläche im Museum in der Königstraße sehr begrenzt ist, fungiert nun die Kunst-Galerie freundlicherweise als Hauptschauplatz; das Museum beherbergt unterdessen eine kleine Hörstation und eine Videoinstallation Libermans. Und wer Eintritt zahlt für die Galerie, kann mit dem Ticket auch das Museum besuchen.

Erschossener «Bursche»

Ruth Libermans Augenmerk gilt dem Wort. Wo beginnt der Moment, da sich der Bedeutungsgehalt eines Wortes auflöst zu Gunsten eines imaginativen Prozesses? Wann geht der Inhalt verloren und wird ersetzt durch die bestenfalls ästhetische Faszination des reinen Schriftbildes?

Der Besucher wird konfrontiert mit Worten. In «Word Shot», einer Reihung von sechs Schwarzweiß-Großformaten und zugleich das augenfälligste Exponat der Schau, versammelt Liberman «Worte, die ich nicht ausstehen kann» und versieht die unausstehlichsten von ihnen mit Schmauchspuren und Durchschüssen. Der «Bursche» etwa - erschossen und erledigt, durchlöchert und gefällt. Das ist beklemmend eindimensional und bleibt es auch dann noch, wenn just jene Eindimensionalität künstlerisches Kalkül sein sollte.

Im Museum schliddert dieses Verfahren sogar ins absurd Platte; dort zeigt ein bewusst verwackelt produziertes Video tonlos den Vorgang des Worte-Erschießens - ein Kunstschütze war hier am Werk, um beispielsweise dem «Heil» den letzten Rest zu geben - und beschwört eine Ästhetik des inszenierten Schreckens herauf, die bestenfalls noch in den siebziger Jahren als Avantgarde galt.

«Für mich», sagt Ruth Liberman», «ist Sprache etwas, das eine Bedeutung hergibt, aber wirklich dahinter kommen wir nie». Tagebucheintragungen von Überlebenden des Holocaust bearbeitet und verfremdet sie auf enorm komplexe Weise, indem sie die Dokumente auf karbonbeschichtete Schreibmaschinenbänder überträgt und die Texte aus der Karbonschicht herausritzt.

Schwarze Felder

Die so «beschriebenen» Bänder reibt sie dann auf Pergament ab, so dass schwarze Felder mit durchsichtiger Schrift sichtbar werden. Liberman lässt die Grenzen verschwimmen zwischen historischer Faktizität und materialisierter Erinnerung, zwischen Geschichtsstück und Museumsstück.

Vergrößerungen von gebrauchtem Löschpapier - hier zu sehen in der Serie «Blots» - geben dem Moment des Erinnerns eine emotionale, haptische Qualität. Schmale Schreibmaschinenbänder, auf die Liberman Urteilssprüche eines englischen Seegerichts aus dem 18. Jahrhundert getippt hat, bekommen, längs untereinander und versetzt gehängt, die Anmutung einer am Horizont schimmernden Meeresoberfläche.

Auslöser fürs Kopfkino

Am stärksten aber ist Ruth Libermans Kunst dort, wo sie den Betrachter zwingt, das eigene Kopfkino zu bedienen. Beklemmende Prägnanz haben die auf Holzleisten gebannten Unterschriften zu Zeitungsfotos. Hier wirkt allein das Textmaterial, um die Bilddokumente vors geistige Auge zu führen: Amerikanische Soldaten zeigen der Bevölkerung von Weimar das Grauen von Buchenwald. «April 16, 1945» ist der Titel der Arbeit.

Liberman, die in London Bildende Kunst studierte und im Vorjahr zum Dr. phil. promovierte, beteuert: «Mir geht es um das Gegenteil der Fetischisierung von Originaldokumenten.» Dass sie allerdings genau dies in Fürth zu großen Teilen und mit erheblicher Kunstfertigkeit unternimmt, gehört zu den ungelösten Rätseln dieser irritierenden Schau.

MATTHIAS BOLL




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