Bayerische Staatszeitung, München, 12.10.2007

Die Sprache im Visier


In Fürth ist die erste Einzelausstellung von Ruth Liberman in Deutschland zu sehen

Den Begriff des „Schreibtischtäters“ nimmt sie wörtlich – und schießt in ihren „Word Shots“ gezielt auf  Worte. Die jüdische Künstlerin Ruth Liberman, nach dem Kriege in Deutschland geboren, dann in Israel und in London, heute in New York lebend, zielt auf die Sprache, trifft aber die Schrift, in der alles aufgehoben, das heißt aufbewahrt ist – Geschichte wie Erinnerung. Wie sich das in ihren Schrift-Bildern niederschlägt, zeigt ihre erste große Einzelausstellung in Deutschland, die jetzt in der Städtischen Kunst-Galerie und im jüdischen Museum Fürth zu sehen ist.

Ihr Leben verdankt Ruth Liberman dem Überleben ihrer Eltern, die dem Holocaust entkamen, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Künstlerin in ihren Arbeiten vor allem auf schriftliche Dokumente aus der Zeit der Nazi-Herrschaft zurückgreift. Und weil sich Sprache in Schrift visualisiert, ist die Schrift, sind die Dokumente für sie „materialisierte Geschichte“. Die Schriftstücke der Schreibtischtäter von damals wurden auf der „Schreib-Maschine“ geschrieben, deren Rattern nicht von ungefähr an „Maschinen-Gewehrfeuer“ erinnert: folgerichtig benutzt Ruht Liberman in ihrer Arbeit „20. Januar 1942“ Kohle-Farbbänder, auf denen sie Texte mit einem Stichel „durchschreibt“ – Tagebuch-Aufzeichnungen dieses Kriegstages in Dresden, Prag und Belgrad, die sich als Bild an der Wand als schwarze „Abriebe“ wie einmittelalterliches Palimpsest ausnehmen, wie „Überschreibungen“, die Schicht für Schicht ganz wörtlich „Ge-Schichte“ als „Geschichtetes“ bloßlegen – und als abstrakt erscheinende„Text-Landschaften“ doch Geschichte dingfest machen.

Um die Aura der Sprache, der Worte und des Textes, geht es Ruth Liberman auch in dem Werk „16. April 1945“: an diesem tag zwang Soldaten der US-Armee in Weimar 200 Bürger, sich grauenhafte Fotos aus dem nahe gelegenen KZ Buchenwald anzuschauen: auf den an der Wand wie Schießscheiben auf einem Schießstand aufgehängten Texttafeln sind aber nur die Bildtexte, nicht die Fotografien, zu sehen; was den betrachtenden Leser unwillkürlich zwingt, sich die Bilder vorzustellen, sie sich selbst auszumalen – und in seiner Imagination sich das Leiden, das Morden und das Sterben „einzubilden“.
Und selbst dort, wo  Ruth Liberman nur Texte von ihr geschätzter Autoren, wie etwa Walter Benjamin, mit Feder und Tinte abschreibt und die Abdrücke auf dem Löschpapier vergrößert als Bild an die Wand hängt, geht von diesen nur noch als skripturale Gesten wahrnehmbaren Wörtern ein imaginative Kraft aus, die in Bann schlägt. – In ihren „Schrift-Bildern“ ist Ruth Liberman der Sprache auf der Spur, die sich als Geschichte – in des Wortes doppelter Bedeutung – „eingegraben“ hat.

F. J. Bröder

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