Fürther Nachrichten, 5./6.3.2005

Unorte, überall und nirgends

Die Welt als Fälschung: Oliver Bobergs Arbeiten in der kunst galerie fürth


Die Wirklichkeit ist zum Davonrennen schaurig. Sie verletzt den Betrachter, indem sie ihn an Orte führt, die sich jeglichen Liebreizes versagen. Es sind die Orte, die überall existieren; jeder glaubt sie zu kennen, jeder tritt, wird er ihrer unheimlichen Aura gewahr, instinktiv die Flucht an - oder flüchtet in den Weltschmerz des beleidigten Ästheten.

Oliver Bobergs Wirklichkeit ist die Wirklichkeit grau schimmernder Hofeinfahrten, kahler Lagerhallen, spießigster Hauseingänge, regenglänzender Mauern. Betonungetüme, herzlich wie ein Faustschlag. "Unorte" nennt sie Hans-Peter Miksch, Leiter der kunst galerie fürth und einer der frühen Förderer Bobergs, der ihn 1998 im Nürnberger Kunsthaus vorstellte. Unorte, weil sie überall sind und nirgends. Denn Bobergs Kunst ist die Kunst des Erbauens und Erschaffens - und das ist im ganz wörtlichen Sinne zu verstehen.

Boberg schafft Realität, indem er sie baut mit atemberaubender Akribie. Der Clou ist die optische Täuschung. Der Betrachter glaubt bedenkenlos, was er sieht. Er sieht Fotos; die Fotos der Unorte. Doch er mag kaum glauben, dass sich hinter dieser Konstruktion von Wirklichkeit Modellbaukunst auf höchster Boshaftigkeitsstufe verbirgt. Wann ist der Kunstgänger je so vehement hinters Licht geführt worden?

Nicht anders denn als sensationell ist diese aktuelle Ausstellung in der kunst galerie zu bewerten; sie macht mit wenigen, aber genau durchdachten Kniffen überdeutlich, warum dieser in Fürth lebende und schaffende Künstler derzeit weltweit en vogue ist, warum sich Galerien um den Westfalen, Jahrgang 1965, reißen.

Erstmals seit seinen ersten Ausstellungen Ende der achtziger Jahre lässt sich der Maler Boberg - Schüler Hans Peter Reuters an der Akademie bis 1993 und 2001 Fürther Kulturförderpreisträger - in die Karten schauen. Ein mit derbem rot-weißen Absperrband umzingelter Bereich zeigt Fragmente jener Modelle, die im späteren Arbeitsschritt zur fotografisch gebannten Schein-Realität mutieren. Da also liegen Holz, Pappe, Papier, Styroporgebirge; Realitätssplitter, bevor sie Realität werden. Oben auf der Galerie: Kugelschreiber- und Wasserfarbenskizzen, drei Monitore, auf denen die Standkamera den langen ruhigen Arbeitsfluss des Wirklichkeitsbauers festhält.

Und im Zentrum der Schau nichts mehr und nichts weniger als das Gesamtwerk aus rund 50 Modellen, Arbeiten aus den Serien "Orte", "Himmel" und "Nachtorte". Ein Projektor zeigt die Arbeiten in Dauerschleife. Das ist akzeptabel, zumal Miksch, hätte er wie andernorts auf die Foto-Originale zurückgegriffen, hier kaum mehr als eine Hand voll Großformate präsentieren könnte.

Doppelschau

"Der verstellte Blick", so der Titel der Werkschau, versteht sich als Teil einer Doppelausstellung, die sich vervollständigt mit der surrealen Fotografie des Leipzigers Erasmus Schröter, in der kunst galerie zu sehen ab 22. April. Die direkte Konfrontation beider Künstler findet statt im vorzüglichen, 80-seitigen gemeinsamen Katalog, der beim Nürnberger Graef-Verlag erschienen ist und 20 Euro kostet.

Matthias Boll




Copyright: © kunst galerie fürth 2007
https://www.fuerth.de/kunstgaleriefuerth/desktopdefault.aspx/tabid-572/