Nürnberger Nachrichten, 20.4.2004

Vitaler Balanceakt zwischen Chaos und Ordnung


Seltenes Gastspiel in der fränkischen Heimat: Die Fürther Kunstgalerie zeigt Bilder von Gregor Hiltner im extremen Querformat

Dynamik entsteht bei Gregor Hiltner aus dem Gegensatz. Gern kombiniert er architektonische Strukturen mit der freien malerischen Geste. Die Spannung, die dadurch entsteht, trägt auch in seinen neuen Bildern, die jetzt in der Kunstgalerie Fürth zu sehen sind. Unter dem Titel „Long Pieces“ präsentiert der 1950 geborene Künstler extreme Querformate, die zwischen Spontaneität und Kalkül, klarer Form und chaotischer Zersplitterung eine vitale Balance halten.

Nach etlichen internationalen Präsentationen und dem gerade beendeten Gastspiel mit frühen „Kruzifix“-Arbeiten in der Nürnberger Egidienkirche ist Hiltner erstmals mit einer größeren Einzelausstellung an einem genuinen Kunstort in seiner fränkischen Heimat vertreten. Das kann man merkwürdig oder bezeichnend finden. Vielleicht liegt es daran, dass er sich nie als Avantgardist verstanden, sich nie einer „Szene“ zugehörig gefühlt hat. Künstlerische Freiheit ist ihm wichtiger als permanente Präsenz.

In einigen seiner „Long Pieces“ schießt Hiltner sogar über das Format hinaus. Um Ecken, Kanten und schiefe Ebenen hat er das Leinwandrechteck erweitert. Die Farbflächen scheinen fast aus dem Bild zu rutschen, doch bleibt das Gesamtwerk fein austariert. Reduziert auf gestische Pinselstriche und geometrische Formen, deutet das farbstarke Spiel mit konstruktiven und expressiven Elementen Gegenständliches zwar an, vermeidet aber eindeutige Festlegungen.

Erzählerischer sind von altägyptischen Piktogrammen und archaischen Zeichen durchsetzte Bilder wie „La Paloma“ oder „Mönch am Meer“ mit Ausrissen figürlicher Gestalten und Gesichter. Sie erinnern an Höhlenmalerei und reduzieren die Komplexität der Welt auf elementare Erkennungszeichen. Doch zugleich verweist die überbordende Vielfalt der Zeichen und Chiffren wieder auf jene nie wirklich zu fassende Komplexität. Wie eine düstere Prophetie mutet das bereits 1994 geschaffene Gemälde „Fundamentalistisches Bild mit World Trade Center“ an, das rechts zwei riesige schwarze Schattengestalten hinter torähnlichen Türmen zeigt und links Anubis, den schakalgesichtigen Totengott der Ägypter.

Kurz nach dem Anschlag vom 11.September malte Hiltner „Nine Eleven“, das die Katastrophe ungewöhnlich konkret veranschaulicht: Ein Flugzeug stürzt senkrecht auf einen Dampfer, Symbol für die getroffene westliche Welt, die Farben sind aufgerissen, die Formen zerfetzt. Obwohl die Chiffren auch hier nicht eindeutig sind, ist der thematische Bezug klar erkennbar. Wenn die Welt zu sehr aus den Fugen gerät, hält die spielerische Leichtigkeit der Fantasie inne. Ein wuchtiges Werk und eine in jeder Hinsicht lohnende Ausstellung.

Regina Urban
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