Nürnberger Zeitung, 03.03.2003

Wanderer, später

Äußere und innere Landschaften ganz aus Farbe


Der Meister ist noch nicht zufrieden. Noch Minuten vor der Pressekonferenz in der kunst galerie fürth greift Ortwin Michl zu Farbe und Pinsel. Seine Fingerkuppen sind rot beschmiert, doch jetzt ist erst mal Grün angesagt. Flink und doch überlegt trägt der 60jährige Künstler weitere Farbschichten auf ein Relief ohne Titel auf, zwei Hemisphären eines Globus aus Holz und Beton, eine imaginäre Parallelwelt mit eigenen Kontinenten und Meeren. Darum herum reihen sich die großformatigen Acrylbilder des Michlschen Kosmos.

Im Jahre 1818 ließ Caspar David Friedrich seinen Wanderer über das Nebelmeer blicken. Hätte dieser Wanderer seine Augen geschlossen und 200 Jahre gewartet - was hätte sich wohl in sein Inneres eingebrannt? Vielleicht ein Bild wie Michls "Die Sonne zögerte an diesem Tag"? Ein Tafelbild, das nur aus Farben besteht, ein Bild, das dem Betrachter erst einmal den Boden unter den Füßen wegzieht und ihn in einen Raum ohne jede Tiefendimension fallen lässt.

Vertraute Form

Dann aber, kurz bevor der Betrachter kapituliert, entdeckt er eine vertraute Form, etwa den rötlich umrandeten Umriss eines Berges. Und hier eine Abgrenzung. Eine Uferlinie. Abstufungen im Blau, plastische Strukturen im Pinselschwung. Und auf einmal entdeckt der Betrachter eine Landschaft vor sich, die nur aus Farbe zu bestehen scheint, sich zwar jeglicher Verortung durch Perspektive entzieht, gleichwohl aber sich dechiffrieren lässt.

Ortwin Michl malt Innenvisionen von Landschaften. An topografischer Exaktheit liegt ihm nichts, nicht einmal an flüchtigem Wiedererkennungswert. Seine Staffelei steht nicht draußen, sondern im Atelier. "Wenn ich male, dann geschieht das schubweise. Dann male ich über einen Zeitraum von mehreren Wochen 15 bis 20 Bilder hintereinander, bis ich nicht mehr kann." Skizzen und Proben fertigt er erst gar nicht an, seine Malerei entsteht ohne jede Vorzeichnung direkt als Tafelbild. Der Künstler vergleicht den Malprozess mit dem Klettern in einer Bergwand, wo der Alpinist seinen Weg sucht, ständig in Gefahr, abzustürzen oder sich zu versteigen. (...) Doch auf einen Fixpunkt der Inspiration kommt Michl immer wieder zurück, auf die ausgedehnten Wanderungen in Skandinavien und Lappland. (...)

Warme Goldtönung

Aber gelegentlich verlässt Michl selbst die topografisch geprägten inneren Landschaften und begibt sich in Sphären abstrahierter Innerlichkeit. So etwa in "im Licht", einer Studie in Orange und Gelb, die in ihren warmen Goldtönungen fast zu schön um wahr zu sein anmutet. Deshalb spickt Michl die Goldwand mit offensichtlichen Klappen (und einigen orange übermalten Geheimtüren dazu), klebt eine zusammengefaltete Papierrolle darauf und unterlegt dieselbe mit Schattenstrichen, um die Plastizität des Objektes noch zu erhöhen. Fast ist der Betrachter versucht, an den Türchen zu kratzen wie an einem Adventskalender. So, als ob der warme Goldvorhang nur das Versprechen sei für eine noch viel wunderbarere Offenbarung. Und dann gibt es noch den Mystiker Michl zu entdecken. Im oberen Stock der kunst galerie begegnen sich "Mythos und Legende". In einer blauen, wie von Yves Klein zusammen-gemsichten blauen Sphäre führen kleine ovale Kartonstücke einen Reigen auf. Darunter bilden Kreissegmente eines Kartons einen Ring, in dessen Innenraum klitzekleine helle Fusselchen wie Funken tanzen. Ein Bild, so schlicht und raffiniert, dass man stundenlang davor sitzen und alles um sich herum vergessen möchte.

Reinhard Kalb




Copyright: © kunst galerie fürth 2007
https://www.fuerth.de/kunstgaleriefuerth/desktopdefault.aspx/tabid-574/