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Nürnberger Nachrichten, 15./16.11.2003
Animierender "Hirschengeist"
Gründungsmitglieder der ehemaligen Atelier-gemeinschaft stellen in der Kunstgalerie Fürth aus
Der "Hirschengeist" lebt wieder auf - zumindest für die Dauer einer Ausstellung. Die fünf Gründungsmitglieder der einstigen Fürther Ateliergemeinschaft Hirschenstraße hat Hans-Peter Miksch jetzt in die Kunstgalerie Fürth geholt. Ralf Siegemund, Margot Protze, Hjalmar Leander Weiss, Dieter Wittmann und Rob Vencl machten sich Anfang der 80er Jahre im Geist von Punk und Postmoderne auf, neue Grenzen in der Kunst abzustecken. Man experimentierte auf den Schnittstellen von Alltags-, Pop- und Hochkultur, mischte Musik mit Kunst und machte das ehemalige Fabrikgebäude in der Hirschenstraße 28 fast ein Jahrzehnt lang zu einem Brennpunkt der Fürther Kunstszene.
Inzwischen geht man getrennte Wege, aus den Neuen Wilden von damals sind im besten Sinne ernsthafte Künstler geworden. Den vielleicht tiefgreifendsten Wandel in seinem Werk hat Hjalmar Leander Weiss vollzogen. Weiss, der früher expressiv und figürlich malte und mit pornografischen Bildern provozierte, hat nicht nur den Gegenstand und die Provokation aufgegeben, sondern eigentlich sogar das Malen. Auf dem Monitor kann man ihn beim Entsorgen seiner Kunst aus früheren Jahren beobachten.
Weiss` heutige Bilder erschaffen sich quasi selbst, entstehen in einem naturhaft wachsenden Prozess. Des Künstlers Anteil besteht in der Wahl des Bodens, auf den er die Leinwand legt, und der Farbpigmente, die er darunter ausstreut. Der Rest ist Zeit und Druck und Verwitterung. Das Ergebnis sind fast archaisch anmutende Farbraumbilder von hohem meditativen Gehalt.
Auf den Spuren der Natur bewegt sich auch Margot Protze, jedoch eher als Sammlerin und Bewahrerin. Als großen Lichtdruck hat sie einen herbstlichen Blätterteppich ausgebreitet. Die in der Mitte aufgedruckten Worte "GEH WEG" bleiben absichtsvoll uneindeutig, können als Warnung vor Zerstörung, als Hinweis auf die Vergänglichkeit der Natur oder einfach als "Gehweg" gelesen werden. Die Energie von Heilpflanzen rückt Protze in einer Fotoserie ins Bild, die ihr bewusst überbelichtetes Selbstporträt mit auf die Stirn geklebtem Pflanzenbildchen zeigt. Denkstücke von sanfter, unprätentiöser Poesie.
Auch in den vier großformatigen Gemälden von Ralf Siegemund spielt Natur eine Rolle - als der eine Pol des Spannungsfeldes, in dem sich der Mensch bewegt. Der andere Pol heißt Industrialisierung, Sozialisierung, Politik und Geist. Siegemund setzt das komplexe Beziehungsgefüge des Menschen zur Welt in vielfältigen Chiffren und manchmal verblüffend einfach ins Bild. Kopfüber hat er einen fast lebensgroßen Jungen auf die Malfläche gezeichnet, links unten steht in orangefarbenen Lettern "Yamaha", längs neben dem Körper wächst eine Mohnpflanze in die Höhe. Das reicht, um das globale Netzwerk, in dem der Mensch nach Orientierung sucht, auf den Punkt zu bringen und ist malerisch perfekt ausbalanciert.
Scheint bei Weiss, Protze und Siegemund das Hirschenstraßen-Motto "Kunst ist Leben" jetzt im Sujet selbst nachzuwirken, so zeigt sich die Kunst bei Dieter Wittmann und Rob Vencl heute als pure Konstruktion. Wittmann formiert die Stellwände der Galerie zum Kreuz und versieht sie mit von innen beleuchteten roten Kunststoffabdeckungen - ein subtiler und zugleich markanter Eingriff in die Raumarchitektur. Vencl hat eine lange verzinkte Eisenstange knapp über den Boden gehängt und darunter eine verwinkelte Spiegelbahn montiert. Bei jeder Berührung der Schnüre läuft ein leichtes Beben durch die massiv-fragile Konstruktion, zittert der Blick.
Der Hirschengeist vibriert, anders als früher, aber immer noch höchst vital. Zur Feier der Wiederbelebung erfährt heute auch das "Kitsch" in der Hirschenstraße ein Revival - einst Kultdisco für New-Wave-Anhänger und kreativer zweiter Spielort der Ateliergemeinschaft.
Regina Urban |
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