Abendzeitung Nürnberg, 1.7.2010

Nachts sind alle Züge inszeniert


Die kunst galerie fürth versammelt in der Ausstellung "Steam and Steel" O. Winston Links Schwarz-Weiß-Fotos zu einer fabelhaften Sammlung ästhetisch modifizierter Realität

Die Birne in der Lampe, die der Junge an der Hand seines Vaters hält, ist ein getarnter Fotoblitz. Deshalb ist trotz Dunkelheit der Boden rund um den Jungen so gut ausgeleuchtete, deshalb strahlt die Lampe, während die riesige Dampflokomotive wie in einem Hollywood-Film von Qualm umhüllt aus dem Tunnelausgang walzt. Bis zu 60 Foto-Blitze hat O. Winston Link gleichzeitig für eines seiner Nacht-Fotos aufgestellt. Er entwickelte sogar besonders starke Stromaggregate und Blitz-Schaltungen, um seine Fotos zu bekommen.

Es ist aber nicht die technische Seite der Ausstellung „Steam and Steel“ in der kunst.galerie.fürth, die begeistert. O. Winston Link hat die Inszenierung zum Gestaltungsprinzip erhoben – und bei seinem Hobby, der Eisenbahn-Fotografie, perfektioniert – am liebsten bei Nacht. „Ich kann die Sonne nicht verrücken oder die Schienen verlegen“, soll der 1914 Geborene einmal gesagt haben – aber das Licht konnte er mit seinen Assistenten und hunderten Metern Kabel selbst setzen.

Von 1955 und 1960 besuchte der Werbefotograf Link rund 20-mal die Strecken der „Norfolk and Western Railway“, machte 2400 Aufnahmen von Dampflokomotiven, meist in Schwarz-Weiß, bevor die Diesellok kam. Link ist kein „Pufferküsser“, der die Dokumentation einer aussterbenden Technik abliefert – auch wenn er sie inszeniert hat. Link ist Künstler, der das soziale Umfeld der Eisenbahn in den kleinen Städten, durch die sie fuhr, ausleuchtet.

Da steht ein Ehepaar auf seinem Balkon und sieht der letzten Dampflokomotive nach. Da baden Kinder surreal in Szene gesetzt in einem Fluss in der Nacht unterhalb einer stählernen Eisenbahnbrücke. Oder sein bekanntestes Bild: „Hotshot Eastbound“, aufgenommen in einem Autokino, in dem sich ein Pärchen im Cabrio räkelt, während auf der Leinwand ein Flugzeug zu sehen ist und auf den Gleisen nebenan ein Zug vorbeidampft. Hier zeigt sich Links Hang zur Inszenierung ganz deutlich: Da er 48 Blitzaggregate aufgestellt hatte, um die Szene zu illuminieren, überstrahlt die weiße Leinwand, auf der man so nichts erkennen kann. Also montierte Link im Fotostudio das Bild des Flugzeugs ein.

In der Fürther Schau, der zweiten Link-Ausstellung in Deutschland überhaupt, zeigt sich in der Zusammenstellung der 53 Aufnahmen die Virtuosität der Realitäts-Inszenierung, die Stringenz der Medialisierung, die durch seine Regieeingriffe deutlich wird – die konsequent an Hollywood-Filme erinnern.

Martin Mai

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