Fürther Nachrichten, 19./20.3.2011

Ergründerin des Unergründlichen

Das riecht nach Publikumserfolg, denn hier lässt jemand die Puppen tanzen: Arbeiten der Bildhauerin und Skulpturenkünstlerin Heli Ryhänen zeigt die kunst galerie fürth am Königsplatz. Es ist dies die erste Einzelausstellung der Finnin in Deutschland.


Die Irritationsmomente dieser Schau haben die Wucht einer Abrissbirne. Heli Ryhänen legt Bomben, die im Kopf des Betrachters detonieren, ihre Lunten liegen gern auf falschen Fährten. „Ich mag es, wenn die Leute ganz verschiedene Aspekte in meinen Arbeiten sehen“, sagt sie. Die lieben Kleinen etwa, sie werden sich, kaum dass sie einen Fuß in die kunst galerie fürth gesetzt haben, jauchzend auf den drei Meter hohen, sagenhaft rosafarbenen XL-Lümmelsack stürzen wollen, jede Wette. Die lieben Großen aber werden erkennen, was zu erkennen ist. Ein kunstlederner, potthässlicher Kopf gebiert einen Fötus, der aus seinem Nasenloch fällt.

Heli Ryhänen kann drastisch zulangen, andernorts mit sexuell deutlich aufgeladenerer Bildwirkung als hier in der Fürther Schau, am Schauplatz ihres dringend fälligen Deutschland-Debüts. Doch um die reine blöde Effekthascherei geht es der 40-Jährigen aus Iisalmi mitnichten und nirgends. Ryhänen verlängert stattdessen mit immenser handwerklicher Sorgfalt eine Spur, die die Puppe in der Kunstgeschichte gezogen hat — die Puppe als Künstler-, nicht als Kinderpuppe.

In ihren Ausprägungen als Golem, Kobold, Geistwesen oder Metapher ist sie schwer fassbar, beunruhigend, an diffusen Urängsten rührend; unscharf eben, „Out of the blur“, wie der Titel der Ausstellung besagt. Die in Tampere lebende Künstlerin — die Kunsthalle Helsinki ehrte sie 2010 als eine der führenden Repräsentanten der finnischen Bildhauerei — vereint Haptik und sublimen Horror auf seriöse, den Betrachter in den Bann schlagende Weise. Ryhänen führt zudem die Puppe als Kunstfigur und die in der Tradition einer Louise Bourgeois (die Ryhänen als ihr Vorbild nennt) stehende weiche Skulptur zu einem ansehnlichen Doppelschlag zusammen. Der fötusfressende „Big Eater“ steht dafür, auch das raumdominierende Figurenbild „History repeating“. Eine kindsgroße Kunstlederpuppe steht einem unglückseligen Atlas gegenüber, der auf seinem krummen Rücken Schublade, Stuhl, Karrieretreppe und dorische Säule — Sinnbild von Politik und Bildung? — tragen muss. Geschichte wiederholt sich, auch die Geschichte des Buckelns nach oben.

Nichts Ironisches haftet dem Werk Ryhänens an, womit sie untypisch für ihre Generation zu Werke geht. Ihre Installation „Farewell“ — die Bronzeskulptur eines siechen Alten, der einen Vorhang zuzieht — vertritt einen grundseriösen Standpunkt: Ein sterbenskranker Mensch bestimmt selber den Augenblick seines Abgangs von der Lebensbühne. Stark und diskutabel. Auch die an der Wand schlaff herabhängende Puppe — Ryhänen gab der Arbeit den Titel „Hibernation“ (Winterstarre) — ist eine mutige Auseinandersetzung mit einem Tabu, der ausgestellten Nacktheit greiser Menschen. Die winterstarre Frau hat nicht nur gesunde Gliedmaßen, sondern darüberhinaus zwei Armstümpfe und einen stachelartigen Rückenwulst. Der Übergang ins unergründliche Horror-Totenreich, hier wird er im Wortsinn begreiflich.

Virtuos spielt Ryhänen auch mit „Schwere“ und „Leichtigkeit“ ihrer Materialien. Im Raumbild „Another Frequency“ verarbeitet sie schwarze Spitze zu einem über dem Boden schwebenden Familien-Stillleben mit Tisch, Kerzenleuchter und einem transparenten Golem, der, an Nylonfäden von der Decke baumelnd, über die Galerie-Balustrade stürzt.

Stets meint, wer ab diesem Wochenende die kunst galerie fürth betritt, einer Alltagssituation gegenüberzustehen — und dann bemerkt man doch die tollkühne Brechung ins Abgründige. Ryhänen: „Viele Leute berichten mir, dass sie, wenn sie meine Arbeiten sehen, plötzlich angeregt sind, über ihr eigenes Leben nachzudenken.“ Es gibt weitaus schlimmere Komplimente, aber kaum bessere.

Matthias Boll




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