Fürther Nachrichten, 17./18.9.2011

Entspannter Ernst


Kinder-Fotografien in der kunst galerie fürth

Wuchtig, intensiv, verstörend und bezaubernd zugleich sind die Kinder-Fotografien, die neun Künstler von internationalem Format derzeit in der kunst galerie fürth zeigen. Doch Vorsicht: Den Titel der Schau, „Lucky“, sollten Besucher nicht allzu wörtlich nehmen.

Glücklich, ist hier jemand glücklich? Das Glück, das schöne falsche Glück wohnt vermutlich im Fotostudie, es wohnt auf Eisbärfellen und vor rosa Tapeten, gleich springt es aus der Schultüte, der bunten. Und wenn das Vögelchen kommt, dann aber bitte scheckig lachen, mindestens so scheckig wie die schrille Launemacherin neben dem Onkel mit der Knipsekiste.

Man findet all das nicht am Königsplatz, und das ist vielleicht das größte Glück an „Lucky — Kindheit in zeitgenössischer Fotografie“. Wieder mal bürstet Galeriechef Hans-Peter Miksch — auch das darf man Glück nennen — vollständig gegen die Erwartungshaltung eines Publikums, das ab Sonntag Fürths einzig wahre Kunsthalle stürmen und bedauern wird, dass hier niemand, aber auch wirklich gar niemand der Abgebildeten lacht.

Aber genau das ist doch Kindheit. Oder nicht? Nein. Das lachende Kind bildet einen Herzenswunsch der Erwachsenen ab. Je älter man wird, desto mehr versinkt die Chiffre „Kindheit“ ins Daunenkissen einer heilen Welt. Kindheit, sagt der Kulturpessimist, wird zum Verschwinden gebracht. Also bitte, bitte: Lach doch mal. Weil wir Großen, Alten, Erschlafften es wollen.

Mit eben diesem Erwartungs-Himalaya spielt die kunst galerie aufs Allerfeinste. Mikschs Künstler — darunter höchst prominente, wie die Münchnerin Herlinde Koelbl und die New Yorkerin Anna Skladmann — variieren das Thema Kindheit so unkitschig wie facettenreich, sprechen bildhaft in Rätseln und lassen die Kindergesichter rätselhaft sprechen, kein Quadratmeter ist hier fad.

Prominenten-Klone

Aus seiner in internationalen Magazinen und Fotostrecken weithin beachteten Serie „The Replacement“ zeigt das Prager Fotografen-Ehepaar Barbora Zurkova und Radim Zurek vier Exponate, die die Frage nach der Ähnlichkeit der Kleinen mit ihren Erzeugern in die Sphäre des Klonens projizieren. Vor abgeernteten Äckern haben sie Kinder ins Bild genommen, die den Superpromis Björk, Pele, Penelope Cruz und — klar, der Rotschopf — Boris Becker verblüffend ähneln. Die Abgebildeten wussten: Am PC wird sanft nachgeholfen. Das Ergebnis: Sind es Doppelgänger, Klone? Was ist der Mensch?

Anna Skladmanns Antwort: Ein erschreckend lächerliches Geschöpf. Die zwischen New York und Moskau pendelnde Künstlerin hat in Russlands Hauptstadt Kinder aus Familien fotografiert, in denen Geld nicht die geringste Rolle spielt. Zudem durften die Abgelichteten mitbestimmen, was später zu sehen sein soll. Ein Mädchen wählte, an einen Oldtimer gelehnt, die Lolita-Pose im Filmdivenkostüm. Vadim, keine zehn Jahre alt, mit roter Professoren-Fliege auf der Dachterrasse, Wowa wie ein Impresario im Theater seines Großvaters: Weltweites Interesse und weltweites Kopfschütteln waren Skladmanns ständige Begleiter in den vergangenen Monaten.

Von kindlicher Arroganz zu kindlicher Neugier: Der in Fürth lebende Nürnberger Fotograf Bernd Telle, fast schon ein Alt-Meister seiner Zunft, zückte im indischen Kerala seine Handy-Kamera, als sich Kinder seinem Wagen näherten, kleine Geschäftsmänner allesamt. Telles Kniff: Die eigens für diese Ausstellung geschaffenen Motive bannte er auf Heckscheiben, auf dass der Betrachter das Erlebnis der unmittelbaren Begegnung haptisch nachvollziehe.

Als freier Fotograf lebt Achim Lippoth, Jahrgang 1968, in Köln, die Global Player unter den Werbeagenturen und Firmen kennen seine Telefonnummern. Aus Lippoths Serie „L’homme machine“ sind fünf Arbeiten aus chinesischen Trainingszentren für angehende Leistungssportler zu sehen. Miksch meint zu Recht, diese Fotografien würden auch einer Sozialreportage des stern zur Ehre gereichen. Lippoth bannt Drill und Trainingshallenaura gleichermaßen charismatisch. Wer hat je behauptet, Kindheit sei „lucky“?

Ihre enigmatische Schlagseite bekommt die Fürther Schau dank Julia Kissina. Die in Deutschland lebende Russin zerschmettert den Kindheits-Mythos und setzt ihn — hier zu erleben in zwei Exponaten — völlig neu zusammen zu einer nebulös-rätselhaften Bildsprache. „Chor“ zeigt Mädchen, die an einer Séance teilzunehmen scheinen, „Heros“ einen Knaben im Kleid und mit drittem Bein. Wer, nächste Frage, hat je behauptet, Kindheit sei bar jeden Horrors?

Ein unergründlicher Grusel geht auch von Bernhard Prinz’ Diptychon aus. Der gebürtige Fürther inszeniert „Tilda“ und „Gordon“ im Halbakt, überlebensgroß und konfrontativ; zwei herausfordernde Blicke treffen den Betrachter, ein Hauch faschistoider Ästhetik — skulptural und monumental — wohnt diesen Arbeiten inne.

Herlinde Koelbl über den Klee loben, das hieße Eulen nach Athen tragen. Ihre „Kinder“-Werke verlegte S. Fischer bereits 1994, 2009 zeigte der Berliner Martin-Gropius-Bau das Gesamtwerk der inzwischen 72-Jährigen und wurde schier geflutet von Besucherströmen. Ein knappes Dutzend Koelbls ist nun in Fürth zu sehen: Kinder, fotografiert in ihrer Heimat, in ihrem sozialen Milieu, ihrem Daheim-Kokon. So ernst und anrührend ist etwa „Charlotte“, 1992 fotografiert; die Dreijährige versucht, beide Arme verschränkend, die Pose einer Erwachsenen, Koelbl drückt ab im Moment des Misslingens. Die Tragikomik von Kindheit, hier wird sie greifbar.

Der Potsdamer Göran Gaudschun (40), Meisterschüler Tim Rauterts in Leipzig, widmet sich in seinen XL-Formaten der Intensität von Kinderblicken. Nein, „Lucky“ sind diese Kinder nicht. Doch glücklich kann auch sein, wer auf höchst entspannte Weise ernst ist. Eine kluge Botschaft, die niemand überhören sollte.

Matthias Boll

Zurueck Zurück Versenden versendenDrucken drucken
2021 © kunst galerie fürth - Impressum