Nürnberger Nachrichten, 20.9.2011

Keine Zeit des reinen Glücks


Fürther Kunstgalerie widmet sich der „Kindheit in zeitgenössischer Fotografie"

Kinderfotografien von neun international renommierten Künstlern präsentiert die Kunstgalerie Fürth in einer großartigen Ausstellung. Den Titel „Lucky“ sollte man nicht allzu wörtlich nehmen: Statt glücklicher Kinder sieht man Bilder von einer Intensität, die unter die Haut geht.

Das lachende Kind ist wohl eher ein Herzenswunsch der Erwachsenen. Galerieleiter Hans-Peter Miksch bürstet mit seiner Auswahl die Erwartungshaltungen kräftig gegen den Strich. Seine neun Künstler variieren das Thema Kindheit so unkitschig wie facettenreich, beredt und rätselhaft.

Aus seiner Serie „The Replacement“ zeigt das Prager Fotografen-Paar Barbora Zurkova und Radim Zurek vier Exponate, die die Frage nach der Ähnlichkeit der Kleinen mit ihren Erzeugern in die Sphäre des Klonens projizieren. Vor abgeernteten Äckern haben sie Kinder fotografiert, die den Ikonen Björk, Pele, Penelope Cruz und Boris Becker verblüffend ähneln. Am PC wurde sanft nachgeholfen. Das Ergebnis: Sind es Doppelgänger, Klone? Was ist der Mensch?

Anna Skladmanns Antwort: Ein erschreckend lächerliches Geschöpf. Die zwischen New York und Moskau pendelnde Künstlerin hat in Russlands Hauptstadt Kinder aus superreichen Familien fotografiert. Die Abgelichteten durften mitbestimmen, was zu sehen sein soll. Ein Mädchen wählte die Lolita-Pose im Filmdivenkostüm. Vadim, keine zehn Jahre alt, zeigt sich mit roter Professoren-Fliege auf der Dachterrasse, Wowa wie ein Impresario im Theater seines Großvaters.

Von kindlicher Arroganz zu kindlicher Neugier: Der Nürnberger Bernd Telle zückte im indischen Kerala seine Handy-Kamera, als sich Kinder seinem Wagen näherten, kleine Geschäftsmänner allesamt. Telles Kniff: Er bannte die Motive auf Heckscheiben, auf dass der Betrachter das Erlebnis der unmittelbaren Begegnung haptisch nachvollziehe.

Der Kölner Achim Lippoth hat für seine Serie „L’homme machine“ in Chinas Trainingszentren für angehende Leistungssportler fotografiert und holt Drill und Sporthallenaura nah heran. Wer hat je behauptet, Kindheit sei „lucky“? Ein unergründlicher Grusel geht von Bernhard Prinz’ Diptychon aus. Der gebürtige Fürther inszeniert „Tilda“ und „Gordon“ im Halbakt, überlebensgroß und konfrontativ mit herausforderndem Blick.

Die Münchnerin Herlinde Koelbl, Grande Dame im Neuner-Bunde, zeigt aus ihrem reichen „Kinder“- Werke-Œuvre Heimatbilder: Kinder in ihrem sozialen Milieu, ihrem Kokon. So ernst und anrührend ist „Charlotte“; die Dreijährige versucht, beide Arme verschränkend, die Pose einer Erwachsenen, Koelbl drückt ab im Moment des Misslingens. Die Tragikomik von Kindheit, hier wird sie greifbar.

Matthias Boll

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